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Zur Geistlichen Chormusik von Heinrich Schütz

Laura M. L. Hafner

Heinrich Schütz’ Geistliche Chormusik umfasst insgesamt 29 Motetten zu fünf, sechs oder sieben Stimmen. Er publizierte die Sammlung zwischen den beiden Teilen seiner Sinfoniae sacrae (1647 und 1650).

Zwei Vorreden und viele Wünsche

Die mit Dreßden, am 21. April 1648 datierte Widmung der Geistlichen Chormusik richtete Schütz an den Bürgermeister und die Leipziger Ratsleute, also konkret bürgerliche Adressaten – und dachte die Kompositionen dem Thomanerchor zu. Seine Beziehung zu Leipzig gründete nicht zuletzt auf seiner Freundschaft zum ehemaligen Thomaskantor Johann Hermann Schein (Amtszeit 1615–30), den er explizit in der Vorrede erwähnt und dessen Motettensammlung Israels Brünnlein (Leipzig 1623, ebenfalls gewidmet dem dortigen Stadtrat) als eines der maßgeblichen Vorbilder der Sammlung gilt.

Titelseite Geistliche Chormusik
Titelblatt der Geistlichen Chor-Musik (Cantus-Stimmbuch) von Heinrich Schütz, 1648

Das Vorwort an den „günstigen Leser“ enthält konkrete aufführungspraktische Hinweise: Entweder können alle Stimmen der Motetten von einem Chor ausgeführt werden (wobei offen bleibt, ob jeweils mit einer Einzelperson oder einer Sängergruppe besetzt), Stimmen können mit Instrumenten verstärkt (also verdoppelt) werden – möglich ist aber auch eine Verteilung einiger Stimmen auf Vokalisten und anderer auf Instrumentalisten: Letzteres Vorgehen bildet sich gerade in den Motetten gegen Ende der Sammlung ab, bei denen Schütz „dahero auch den Text nicht habe unterlegen lassen“.

Die „taube“ und die „harte Nuß“

Neben besetzungstechnischen Empfehlungen legt Schütz hier seine zentralen inhaltlichen Absichten dar: Vor dem Hintergrund des überaus populär gewordenen konzertierenden Stils mit Generalbass betont er die Bedeutung des Kontrapunktes, also des „Stylo ohne den Bassum Continuum“, in dem sich jeder Schüler üben müsse und „ohne welche bey erfahrnen Componisten ja keine eintzige Compostion bestehen“, und „nicht viel höher als einer tauben Nuß werth geschätzet werden kan“, selbst wenn die Musik ungelehrten Hörern „gleichsam als eine Himmlische Harmoni fürkommen möchte“. Seine Absicht ist es, angehende Komponisten „anzufrischen, das ehe Sie zu dem concertirenden Stylo schreitten, Sie vorher diese harte Nuß (als worinnen der rechte Kern und das rechte Fundament eines guten Contrapuncts zusuchen ist) auffbeissen und darinnen ihre erste Proba ablegen möchten“.

Hierfür legt Schütz mit seiner Geistlichen Chormusik eine beispielhafte Sammlung vor, wobei als Referenz an seinen eigenen ehemaligen Lehrer eine bearbeitete Motette von Giovanni Gabrieli fungiert: Bei ihm hatte er 1609 bis 1612 in Venedig studiert.

Garant für kompositorische Qualität

Schütz richtet sich keineswegs gegen den konzertierenden Stil mit Basso continuo, hatte er doch selbst in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Werke dieser Art verfasst – vielmehr wollte er Sorge tragen, dass jüngere Komponisten nicht das handwerkliche kompositorische Rüstzeug einbüßten, das man trotz der modernen Kompositionsweise benötigte, dass also die Neuerungen nicht zulasten der kompositorischen Qualität gingen: „In der Geistlichen Chormusik legte Schütz nieder, was ihm überzeitlich erhaltenswert zu sein schien. Und indem er hierin demonstrierte, wie das tradierte Regelwerk der Satztechnik anzuwenden war, ist seine Sammlung ein Kompendium für kunstgerechtes Komponieren schlechthin.“ (Hiemke)

Titelseite Geistliche Chormusik
Eine idealisierte Aufführungssituation unter Schütz' Leitung zeigt das Frontispiz von David Conrads Geistreichem Gesang-Buch, Dresden 1676

Musik im Schatten des Dreißigjährigen Krieges

Im Bericht über die Jahrhundertfeier der Reformation, die 1617 in Dresden stattfand, wird die Musik konkret erwähnt: „Verleih uns Frieden genediglich &c. auff besondere Melodey in die Lauten und Clavicymbel von 5. Sängern“. Die musikalische Gestaltung der Feierlichkeiten fiel in die Verantwortung des jungen Hofkapellmeisters – Schütz war Anfang 30 und kurz zuvor in die Dienste des sächsischen Kurfürstentums getreten – und es ist gut möglich, dass es sich hierbei um eine Frühfassung seiner Motette handelte.

Als Kapellmeister hatte Schütz die Aufsicht über alle Sänger und Instrumentalisten der Hofkapelle, er verantwortete sämtliche Musik am Hofe: geistliche wie weltliche, für Gottesdienst, zu Unterhaltungs- und ebenso zu repräsentativen politischen Zwecken. Ein Jahr später brach der Krieg aus, der unfassbare Opferzahlen forderte, dessen verheerende Auswirkungen letztlich mehr als einem Drittel der deutschen Bevölkerung das Leben kostete. Ein Großteil der Jahrzehnte in den Diensten des Dresdner Hofes fielen für Heinrich Schütz in diese Kriegszeit. Als der Dreißigjährige Krieg mit dem Westfälischen Frieden 1648 endlich offiziell ein Ende fand, publizierte er, mittlerweile 63-jährig, seine Geistliche Chormusik.